Mein lieber Thomas,
ich weiß nicht so recht was los ist. Ich sehe und höre nichts mehr von Dir und weiß nicht, warum. Ich versuche hier in diesem Brief aus meiner Sicht zu ergründen, woran es liegen könnte.
Früher haben wir sehr viel Zeit miteinander verbracht. Und ja, ich kannte es schon, sobald Du eine neue Freundin vor Ort hattest, bist Du komplett in Deiner Beziehung abgetaucht. Wenn Deine jeweiligen Freundinnen keinen Kontakt zu mir gehalten haben, habe ich in den 2 Jahren kaum was von Dir mitbekommen. (2 Jahre deshalb, weil Deine Beziehungen meist so lange dauerten)
Aber irgendwie hat unsere Freundschaft doch immer gut gehalten zwischen uns und so einiges überstanden. Diese Phasen war ich einfach gewohnt. Nur dieses Mal ist alles anders.
Vielleicht liegt es daran, dass Du geheiratet hast. Nun ist nicht mehr abzusehen, dass es 2 Jahre sind, nach denen es weitergeht. Nun hast Du Dich dafür entschieden, Dein Leben zu teilen. Du bist ja schon früher wie gesagt, sehr in Deinen Beziehungen aufgegangen. Aber dieses Mal ist es eben „für immer“. Und dieses Mal habe ich das Gefühl, Du hast Dich komplett aufgelöst. Du bist vom „ich“ Zustand in ein „wir“ transformiert.
Ab dem Zeitpunkt sollte / durfte ich nicht mehr fragen, wie es „Dir „ geht. Ich wurde stattdessen gebeten zu fragen, wie es „euch“ geht und ob „ihr“ euch mit mir treffen wollt und nicht „Du“. Du hast mir gesagt, ab jetzt bist Du „Wir“.
Für mich, die ich schon immer ein freiheitsliebendes Individuum war, ist das schwer zu verstehen. Ich würde wütend werden, explodieren und mich in die Ecke gedrängt fühlen, wenn man mich nur noch als „ihr“ und „euch“ sehen würde. Ich möchte nicht in Zweisamkeit verschmelzen, mich aufgeben und mich nur noch in einem anderen Menschen wiederfinden. Das bin ich einfach nicht.
Auch wenn wir so verschieden sind, hätte ich gedacht, dass wir beide das trotzdem schaffen können. 
Du darfst „wir“ sein und ich darf „ich“ bleiben. Ich hätte gedacht, dass wir uns da gegenseitig akzeptieren können.
Tja und dann kam noch die dritte Komponenten ins Spiel, Du wurdest Vater.
Das ist ein sehr schönes und unglaubliches Ereignis im Leben und ich habe mich für Dich gefreut.
Du hast mich per SMS über die Geburt benachrichtigt und ich habe Dir per SMS gratuliert.
Im Nachhinein scheint mir aber, (wobei das nur meine Vermutung ist), dass Du und vor allem Deine Frau mehr erwartet habt. Wahrscheinlich Geschenke zur Geburt oder ähnliches. Vielleicht habt ihr erwartet, dass ich überschwänglich reagiere. Aber das bin ich einfach nicht. Natürlich freut es mich für euch und das habe ich auch geschrieben. Mir war einfach nicht klar, dass ich da gewisse Erwartungen zu erfüllen habe, an die das Weiterführen der Freundschaft geknüpft ist. Ja, ich habe nicht gefragt, wie die Schwagerschaft verläuft oder ähnliches. Aber ehrlich gesagt, war auch in meinem Leben viel los und ich gebe zu, nach dem Knacks den unsere Freundschaft ohnehin schon hatte, war es nicht mein erster Gedanke mich diesbezüglich bei euch zu erkundigen. Abgesehen davon, dass früher auch keine 1000 km zwischen uns lagen.
Tja… irgendwie scheint mir, ist es sehr verfahren. Ich kann nur obiges vermuten. Vielleicht liege ich auch ganz falsch.
Ich fänd es schade, wenn unsere Freundschaft daran zerbrechen würde, dass ich Erwartungen nicht erfüllt habe. Ich bin nämlich wie gesagt nicht darauf gekommen, dass sie bestehen, geschweige denn, welche Erwartungen bestehen.
Ich habe einfach nicht so weit gedacht, dass es ja euer erstes Kind ist und für euch noch ein großes Ereignis. Denn die meisten meiner Freunde haben bereits erwachsene Kinder, die ich alle durchs Leben begleitet habe. Da habe ich einfach nicht daran gedacht, dass es für euch ja noch ganz neu und besonders ist.
 
Nun gut. Wie gesagt, ich fände es schade, wenn alles so unbesprochen den Bach runtergeht und in der Stille verbleibt.
Ich würde mich freuen, wenn Du wieder mit mir sprechen würdest. Und wenn wir vielleicht auch keine Freundschaft mehr hinbekommen sollten, wäre es doch schön, gemeinsam eine Art Frieden damit zu schließen. Das ist mir wichtig. Ich möchte nicht alles im Sande verlaufen lassen, dafür waren doch all die Jahre viel zu kostbar.
Ich würde mich freuen, wenn Du Dich auf diesen Brief hin nochmal bei mir meldest, vielleicht finden wir ja doch noch unseren Weg.
 
Danke und alles Liebe
Kerstin

Und was meinst Du? Würdest Du Dich bei mir melden?

Schreib es mir hier in die Kommentare. Danke.

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